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Kölner -Kult-Treff

 
 
 

Interview mit Hans W. Geißendörfer
im Herbst 2005

Hans W. Geißendörfer


 
 
 
Hans W. Geißendörfer ist nicht nur ein großer und erfolgreicher Filmemacher, sondern vor allem für uns Lindenstraße-Fans der wichtigste Mensch im Lindenstraße-Universum. Denn ohne ihn hätten die vielen Zuschauer nicht jeden Sonntag die Möglichkeit mit Spannung und Begeisterung in die Wohnzimmer der "Nachbarn" aus Deutschlands berühmtester Straße zu sehen. Und dieses nun schon seit 20 Jahren.
 
Ob Herr Geißendörfer befürchtet, dass ihm nach 20 Jahren vielleicht eines Tages die Themen ausgehen, wie ernst er Zuschauerkritik nimmt und ob diese auch Einfluss in die Storylinesitzungen finden und ob es evtl. Themen gibt, die man in einer Familienserie nicht unbedingt zeigen sollte, das alles und noch viel mehr erfahrt ihr in unserem Interview mit dem "Vater der Lindenstraße".
 
 
 
 
 
 
 

Was geht Ihnen bei dem Begriff "20 Jahre Lindenstraße" durch den Kopf?
Was für eine Menge an Material und Geschichten! Ein Tagebuch unserer Arbeit und Freude.
 
Würden Sie in der heutigen Zeit noch mal eine Serie wie die Lindenstraße produzieren?
Ja, ohne Zweifel. Ich müsste allerdings sehr geschickt vorgehen, um die "Erlaubnis" eines Senders dafür zu bekommen.
 
Fällt es Ihnen als Drehbuchautor leicht, sich für alle Figuren aus der Lindenstraße interessante Geschichten auszudenken? Schafft man es bei ca. 50 Hauptrollen überhaupt neutral zu bleiben oder hat man schon seine bevorzugten Figuren, für die es einfacher ist zu schreiben?
Es ist kein Problem "neutral" zu bleiben. In der Regel sind es auch nicht die Figuren, für die Geschichten ausgedacht werden, sondern Themen und Geschichten sind zuerst da. Für sie werden dann die Figuren zusammengestellt, mit denen die jeweilige Geschichte erzählt werden kann. Manchmal muss man für ein Thema/Geschichte sogar eine neue Figur einführen.
 
Die Aktualisierungen nehmen in letzter Zeit verstärkt zu, so dass die Politik sehr häufig in der Lindenstraße erwähnt wird. Warum ist es Ihnen so wichtig fast jede Folge zu aktualisieren?
Weil "Lindenstraße" was mit unserem Alltag zu tun hat und in unserem Alltag "Politik" permanent dabei ist. Unsere Fans lesen Zeitung, hören Nachrichten, die sie betroffen machen, werden mit Gesetzen und Beschlüssen der Politiker konfrontiert, die ihr Leben beeinflussen und genauso ist das eben auch im "Lindenstraße" Kosmos.
 
In diesem Jahr ist es ein Trend, dass viele wöchentliche Serien eine Art "Kreativ-Pause" einlegen und somit einige Wochen im Jahr nicht gesendet werden. Müssen wir dieses auch irgendwann bei der Lindenstraße befürchten?
Nein, wir bleiben ganzjährlich erhalten.
 
In letzter Zeit häuften sich die Beziehungsprobleme vieler Lindensträßler (z.B. Andy und Gabi, Olaf und Ines, Carsten und Käthe...). Geht Ihnen der Stoff für andere zwischenmenschliche Beziehungen aus?
Keineswegs, aber Liebe und all die Probleme, die mit Liebe zusammenhängen, sind nun mal der Kleister unseres Zusammenlebens. Außerdem gibt es fast kein "zwischenmenschliches" Ereignis, das nicht in irgendeinem Zusammenhang mit einer Beziehung steht.
 
Wie ernst nehmen Sie die Zuschauerkritik und finden diese auch Gehör in den Storylinesitzungen?
Zuschauerkritik nehmen wir wesentlich ernster als professionelle Kritik in den Zeitungen. Sie wird auch bei den Storylines diskutiert und beachtet.
 
Nach 20 Jahren Lindenstraße wurde ja schon so gut wie jedes Thema verarbeitet. Besteht die Gefahr, dass Ihnen irgendwann die Themen ausgehen?
Nein. Wir haben gelernt, dass Wiederholungen zum Leben gehören, also auch in der Lindenstraße stattfinden dürfen. Nehmen Sie doch bloß einmal das Thema "Liebe" oder "Arbeitslos". Alles wiederholt sich zum 100.000sten Mal genauso wie man jeden Morgen irgendwie frühstückt und nachts in der Regel immer wieder schläft.
 
Seit einigen Jahren können die Zuschauer über das Internet die Lindenstraße-Dreharbeiten mitverfolgen. Früher wurden die Geschehnisse in der Lindenstraße bis kurz vor der Ausstrahlung geheim gehalten. Ist dieser "Einblick" in die Dreharbeiten von Ihnen gewollt oder müssen Sie sich der Konkurrenz anderer Mitbewerber anpassen?
Durchsichtig machen schafft Verständnis. Alles was wir machen, wollen wir auch. Die Konkurrenz hat da bisher nur sehr wenig beigetragen oder motiviert.
 
Über viele Fernsehproduktionen/Serien gibt es regelmäßig erscheinende Zeitschriften. Warum hat die Lindenstraße keine eigene Zeitschrift?
Das ist zu aufwendig für unser kleines Pressebüro. Die Zeitschrift außerhalb herstellen zu lassen wäre a) zu teuer und b) müssten wir letztlich selbst auch wieder die inhaltliche Arbeit machen. Außerdem, und dies ist der Hauptgrund, haben wir eine hervorragende und vielfältig ausgestattete "Online-Zeitung" im Internet, die viele Leute lesen und nutzen.
 
In den Anfangsjahren der Lindenstraße konnten einzelne Szenen auch ruhig mal fünf Minuten lang sein. Heute werden diese Szenen "gesplittet" und haben eine maximale Länge von 2,5 Minuten, um die Zuschauer am "Wegzappen" zu hindern. Gibt es in der schnelllebigen Fernsehzeit noch andere Dinge, die früher machbar waren, heute aber nicht mehr möglich sind, die Sie aber gerne wieder ändern würden?
Unser Szenenablauf ist nicht schneller geworden, weil wir die Leute am wegzappen hindern wollen. Das hat sich einfach so entwickelt, weil wir und unsere Autoren alle Kinder unserer Zeit sind. Wir sind allerdings gerade dabei, bewusst wieder ein bisschen "langsamer" zu erzählen, wenn es der jeweiligen Geschichte gut tut.
 
Bekommen auch die Schauspieler bei der Abnahme oder Ausstrahlung der Folgen von Ihnen Kritik oder äußern Sie sich gar nicht dazu, wie die Schauspieler einzelne Szenen umgesetzt haben?
Klar gibt's Kritik in jede Abteilung, aber auch sehr oft begründetes Lob.
 
Gab es in den letzten 20 Jahren Szenen oder Themen in der Lindenstraße, die Sie nach der Ausstrahlung bereut haben, dass diese gezeigt wurden?
Nein. Ab und zu habe ich allerdings schon mal bereut, dass ich bei der Gestaltung der Szene nicht kritischer war. Aber echt selten.
 
Gibt es Themen, die Sie gerne in der Lindenstraße behandeln würden, sich aber nicht trauen, diese in einer Familienserie zu zeigen, bzw. nicht die geeigneten Figuren dafür haben?
Die Figuren könnten wir uns ja "bauen" und grundsätzlich sind wir wild entschlossen, alles zu zeigen, was wichtig ist und Sinn macht, dass es gezeigt wird. Allerdings entscheiden wir über die Themen immer im Bewusstsein unserer Verantwortung für den Zuschauer.
 
Müssen wir befürchten, dass Sie nach 20 Jahren Lindenstraße irgendwann ans Aufhören denken?
Solange ich gesund sein darf und die Zuschauer uns wollen und wir unsere erzählerische Freiheit behalten dürfen, bleibe ich sehr gerne dabei.
 
Mit "Schneeland" haben Sie in diesem Jahr wieder einen Film in die deutschen Kinos gebracht. Was sind Ihre nächsten Projekte neben der Lindenstraße und wieviel Zeit bleibt Ihnen überhaupt neben der Serie solche Projekte zu realisieren?
Der Produktionsablauf der Lindenstraße liegt schon seit vielen Jahren in den erfahrenen und kompetenten Händen unseres hervorragenden Teams. Also bleibt mir schon Zeit für andere Sachen. Die GFF produziert ja auch immer mehr TV Filme, Dokus und hoffentlich auch wieder Kinofilme, bei denen ich freilich nur ausnahmsweise selbst Regie machen will und werde. Aber auch als Produzent muss man fleißig sein und sich voll einbringen.
 
Gibt es zum Schluss etwas, was Sie den Lindenstraße-Zuschauern noch gerne sagen möchten?
Bleibt uns treu! Aber sagt uns bitte auch, wenn Ihr glaubt, dass wir was falsch machen.
 

 

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